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NS-Zwangsarbeit am Erzberg (Steiermark) 
 
 
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Recherche-Material 1

Projekt Eisenerz (2000/2001) 
 
 
ZWANGSARBEIT AM ERZBERG  
RECHERCHE-MATERIAL 1
 
(Zum Stand der Forschung) 
 
 
 
 
Wer zur NS-Zwangsarbeit am Erzberg forscht, wird zunächst einmal auf eine Mauer aus feindseligem Schweigen und aus aggressiver Ablehnung stoßen. Und es sind nicht nur die Alten so. Auch die Jungen benehmen sich, als hätte man sie beschuldigt, die Taten begangen zu haben. Sie verteidigen offensichtlich die Eltern und Großeltern. In Deutschland schreiben die Neonazis das offen auf ihre Transparente: „Unsere Großväter sind keine Mörder“. Man muss aber kein Neonazi sein, um die historische Wahrheit zu relativieren. Auch andere fühlen sich beschuldigt, sehen in den historischen Tatsachen eine persönliche Belastung. Manche sagen, so schlimm wie oft behauptet, sei das alles nicht gewesen, „im Krieg“ sei es auch denen nicht gut gegangen, die heute angeklagt würden. Und nicht wenige geben zu erkennen, dass sie Juden, Polen, Russen, Serben und andere ohnehin nicht mögen.  
 
Was die Dimension der mörderischen Gewalt betrifft, die damals am Erzberg gegen Zivilarbeiter, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge ausgeübt wurde, so ist diese gewaltiger als man zunächst glauben mag. Und das Schweigen und Abwehren kommt in diesem Fall vor allem daher, dass große Teile der Bevölkerung sich daran beteiligt hatten. Das gilt für den Mord an den 300 ungarischen Juden in den letzten Kriegstagen am Präbichl, der nicht von der SS, sondern vom Erzberg-Werkschutz und vom lokalen Volkssturm durchgeführt wurde - also von „ganz normalen Leuten" aus Eisenerz. Es gilt noch mehr für die alltägliche Gewalt, die mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern verbunden war. Mit Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen hatten fast alle Einwohner von Eisenerz und Umgebung zu tun.  
 
 
 
LAGERTYPEN UND UMFANG DER ZWANGSARBEIT  
 
Nach dem jetzigen Stand der Recherchen gab es in Eisenerz: 
 
Lager für etwa 600-800 Wiener Juden, die von 1940 bis 1941 (also vor den Deportationen „in den Osten“) dort im „geschlossenen Arbeitseinsatz“ (formal sogar bezahlte) Zwangsarbeit leisten mußten. 
 
 
Mehrere Lager für Tausende Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus aller Welt. 1939 waren es 1700 Personen aus Slowakei, Polen, Jugoslawien..., 1941 waren es bereits 4879 Zwangsarbeiter und 756 Kriegsgefangene. Im Januar 1944 waren es 4514 Zwangsarbeiter (davon 575 Frauen) und 1871 Kriegsgefangene. Die Gesamtzahl der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen am Erzberg liegt allerdings weitaus höher, denn es waren nicht immer die selben Personen dort. Kranke wurde oft nach Mauthausen geschickt, wo sie ermordet wurden. Insgesamt dürften bis zu 16.000 Menschen in dieser kleinen Stadt mit nur wenigen Tausend Einwohnern geschuftet haben. Es muß ein Hexenkessel gewesen sein! Und die genauen Todeszahlen sind bis heute unbekannt.  
 
 
Aus dem Rapportbuch des KZ Mauthausen geht zudem hervor, dass es am Erzberg auch eine Außenstelle gab. Im Sommer 1943 begann der Aufbau eines Außenkommando des KZ Mauthausen in Eisenerz. Die ersten Häftlinge, darunter etliche mit Facharbeiter-Kenntnis, kamen aus dem KZ Gusen. Sie werden in einem Barackenlager Gsollgraben untergebracht (siehe Karte). In Eisenerz mussten sie mit dem Bau eines KZs beginnen. Am Ende wurden in Eisenerz mehrere hundert KZ-Häftlinge zu dieser Tätigkeit gezwungen. Wer erkrankte wurde zurück nach Mauthausen geschickt und dort häufig ermordet. Dieses Konzentrationslager („K-L. Eisenerz“) unter dem Regiment des SS-Obersturmführer Hans Heidingsfelder existierte von Juni 1943 bis 14.3.1945 mit 527 Häftlingen.  
 
 
Die schlimmste Überraschung erlebten wir jedoch, als klar wurde, dass am Erzberg auch eine Gaskammer (auf der hinteren Bergseite) gebaut wurde. Sie konnte angesichts der näherrückenden Front nicht mehr „in Betrieb“ genommen werden. Aber sie existiert noch – vergraben unter Millionen Tonnen Gestein!. Die Eisenerzer haben das ganze KZ einfach unter Geröll vergraben! Die KZ-Häftlinge wurden zurück nach Mauthausen transportiert. Wer marschunfähig war, wurde ermordet. Anschließend haben sie alle Belege verschwinden lassen. Auch Dokumente über die „normale Zwangsarbeit“. In einem Archiv waren bis in die 60er Jahre alte Nazis verantwortlich, darunter welche , die seinerzeit in Graz als Mörder verurteilt wurden.  
 
 
 
ERZBERG UND WEHRMACHT  
 
Mehr als bestätigt hat sich unsere Vermutung, dass der Erzberg für die Aufrüstung der Wehrmacht (und Waffen-SS) und ihre spätere Versorgung mit Panzern und Munition eine immense Bedeutung hatte. Der Erzberg war kriegswichtig. Die Planung zum forcierten Abbau begann schon 1935 (!) durch die Arbeitsgruppe „Sonderaufgabe Deutsche Rohstoffe“. Der Erzberg wurde also planmäßig zum wichtigsten Lieferanten von hochwertigem Eisen für das Deutsche Reich und damit Teil der Rüstungsindustrie. Göring besuchte Eisenerz am 10.4.1938 und kaufte sich dort ein Schloß. Nur durch Forcierung des Abbaus am Erzberg konnte 1938 die industrielle Kriegsvorbereitung aufrechterhalten werden, da Deutschland 1938 bereits an Grenzen gestoßen war. Parallel wurden in der Steiermark fünf neue Rüstungsbetriebe gegründet. Deren Produktion erfolgte auf direkte Weisung der Wehrmacht. Zugleich erfolgte der Ausbau der Infrastruktur (Autobahn Graz-Wien, Eisenbahn Richtung Salzburg). Den Stellenwert der steirischen Erz- und Stahlproduktion erkennt man auch an der Bedeutung, die der Steiermark z.B. in der Munitionsplanung der Wehrmacht vom 1. Februar 1945 zu kam: Von den in Auftrag gegebenen 95.000 Tonnen Granatstahl sollte die Steiermark 15.000 liefern.  
 
All das funktioniert nicht zuletzt deshalb bis zur letzten Minute (und danach auch noch), weil die Alpine Montan schon vor 1938 eine Hochburg der Nazis war. Die Beteiligung der Bevölkerung an der Unterdrückung der Zwangsarbeiter war offenbar groß. Besonders perfide war die Verknüpfung von politisch-staatlicher Machtausübung mit der betrieblichen Herrschaft, also von SS, Gestapo und Werkschutz. Nicht zufällig wurden nach 1945 Eisenerzer in Graz verurteilt (in den „Eisenerzer Mordprozessen“).  
 
 
 
STAND DER FORSCHUNG  
 
All das ist kaum Gegenstand von Forschung. Es gibt derzeit drei Personen, die sich – unter anderem - mit der NS-Zwangsarbeit am Erzberg beschäftigen; in ihrer Freizeit bzw. in zwei Fällen im Zusammenhang mit einer Dissertation. In zwei Fällen bekamen wir keine oder nur spärliche Informationen von ihnen, weil das ihren Archiv-Zugang gefährden könnte.  
 
Auch die Hoffnung, dass unser Projekt junge Historiker in der Steiermark zu eigenen Anstrengungen motivieren könnte, hat sich nicht erfüllt. Während das Projekt „Steirisches Erz“ mit wenigen Kräften die zugänglichen Informationen zusammentrug (die meisten Dokumente sind im Besitz von Walter Dall-Asen, früher Betriebsrat am Erzberg, der aber nicht explizit zum Thema Zwangsarbeit forscht), startete zeitgleich in Linz ein wohlausgestattetes Projekt zur Erforschung der NS-Zwangsarbeit in den Linzer „Reichswerken Hermann-Göring“. Eine Wiener Forschergruppe um Oliver Rathkolb hatte von der Direktion des Linzer Nachfolgewerkes, der Voest-Alpine Stahl AG, Zugang zu den Archiven erhalten sowie erhebliche Finanzmittel.  
 
Was also in Eisenerz nicht möglich ist, weil die Voest-Alpine Erzberg Gesellschaft m.b.H jede Forschung hintertreibt, war im Jahr 2001 in Linz möglich. Warum? Noch 1983, als das Linzer Werk noch „dem Volk“ gehörte (in Österreich wurden alle Nazi-Gründungen – das „deutsche Eigentum“ - dadurch vor dem Alliierten gerettet, dass man sie verstaatlichte), verweigerte man den Historikern Florian Freund und Bertram Petz (und später auch Kessen/Jacob) den Zugang zu den Akten. Da die inzwischen teilprivatisierte Aktiengesell in Linz jedoch Stahl in alle Welt exportiert, während das Erz vom Erzberg eben nur nach Linz und Donawitz geht, ist man in Linz heute flexibler, während in Eisenerz alles bleibt wie es immer schon war: Leugnen und Schweigen.  
 
Wir hatten uns manchmal gefragt, warum man in Eisenerz so renitent und nicht so „smart“ ist wie anderswo. Die heutige „Erinnerungskultur“ ist doch längst in der Lage, nach dem Motto „Erinnern heißt Erlösung“, pauschal und unverbindlich einzugestehen, dass die Täter aus der Mitte der Gesellschaft kamen, sodann aus der Staatskasse (also nicht aus den Firmenkassen) viel zu niedrige Entschädigungen zu zahlen und schließlich – moralisch gestärkt - zur Tagesordnung bzw. zur Revanche (Entschädigung für frühere Wehrmachtssoldaten etc.) überzugehen.  
 
Dass man in Eisenerz nicht so smart ist, dass man dort nicht einfach, um „endlich Ruhe zu haben“, den früheren Zwangsarbeitern ein Denkmal am Berg baut und ihr „Schicksal“ in der Stadtchronik bedauert, das hängst allerdings nicht nur mit der fehlenden Exportabhängigkeit zusammen. In Linz kann man ein Buch wie das von Oliver Rathkolb verkraften. Ein Symposion, ein Abend mit Gedichten und zwei Berichte in der Lokalpresse; das war´s dann. Der „moralische Gewinn“ überwiegt dort am Ende die Sorge um den Ruf. Zumal man heute nicht mehr mit Anklagen und konkreten, ans Werk gerichteten Entschädigungsforderungen konfrontiert ist. In Eisenerz stellt sich hingegen alles viel weniger anonym dar.  
 
Es gibt dort keine intellektuellen Eliten, die wohl gesetzte Worte finden, hinter denen die konkrete Verantwortung verschwindet. Vor allem aber: in Eisenerz und Umgebung war die gesamte Bevölkerung in die Verbrechen an den Zwangsarbeitern in der einen oder anderen Weise verwickelt - als Täter, Zuschauer, Mitwisser. In Eisenerz gibt es kaum eine Familie, in der keine „Zwangsarbeitergeschichten“ zirkulieren würden. Niemand kann dort sagen, es wären „die anderen“, „die Nazis“ gewesen. Deshalb hält man dort bis heute gemeinsam dicht und grenzt alle aus, die dieses Schweigen durchbrechen wollen.  
 
Es gibt eine Ausnahme: Nach langem Hin & Her und etlichen Intrigen gegen den Urheber der Idee, wird außerhalb von Eisenerz demnächst wohl ein kleines Mahnmal für die am Präbichl-Paß ermordeten Juden errichtet. Einige Leute, darunter auch aktiven Gegner des Themas NS-Zwangsarbeit, haben es tatsächlich geschafft, den Bürgermeister von den Vorteilen einer modernen „Erinnerungskultur“ zu überzeugen – in einem Fall, bei dem es ohnehin nichts mehr zu verbergen gibt, weil er längst erforscht und in der internationalen Literatur dokumentiert ist und weil die Täter schon vor fast 60 Jahren hingerichtet wurden.  
 
Im Fall der NS-Zwangsarbeit am Erzberg bleibt hingegen jeder Forscher ein Detektiv und für den Ort ein Nestbeschmutzer oder „auswärtiger“ Ankläger. Man weiß alles und sagt nichts. Neben der Hoffnung auf Archivfunde außerhalb von Eisenerz bleibt nur die Möglichkeit, noch lebende frühere Zwangsarbeiter um ihr Zeugnis zu bitten.  
 
(gj) 
 
 
 
ERZBERG-AKTEN IN LINZ 
 
Nachbemerkung:  
Die beiden Bände des Werkes: Oliver Rathkolb (Hg.), NS-Zwangsarbeit – der Standort Linz der „Reichswerke Hermann Göring AG Berlin“ 1938-1945 (Böhlaus Wien, 2001) liegen seit Herbst 2001 vor. Die Forschergruppe bestätigte uns „informell“, dass sie in Linz auch einen erheblichen Aktenbestand über den Erzberg gefunden aber nicht gesichtet hat. In Linz liegt womöglich der größte Bestand an Akten über den Erzberg. Ihn zu erforschen, gehörte nicht zum Auftrag von Rathkolb und seinen Mitarbeitern. Nun ist offen, ob dieser Bestand jemals erforscht wird, ob sich Interessenten finden und ob die VA Stahl AG dann den Zugang erlauben wird.

 

(c) Günther Jacob - Diese Website wurde mit Hilfe von Populus generiert.
Letzte Änderung am 13.09.2017
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