Info 2 -
Projekt Eisenerz
Februar – Juni 2001
(D) Materialien
INFO: „ARISIERUNG“ STEIERMARK
"Ersuche um Mitteilung, wie ich zu einem jüdischen Geschäft komme“
Von Heimo Halbrainer und Joachim Hainzl (11/98)
Arisierung in der Steiermark
"Geschäfts-Verkauf! Unterzeichnete Firma beehrt sich, den verehrten Kunden bekanntzugeben, daß sie das seit Jahrzehnten eingeführte Schuhhaus käuflich erworben hat und als arisches Unternehmen weiterführen wird."
So bzw. ähnlich lesen sich viele groß aufgemachte Zeitungsinserate im Jahre 1938 nach dem Anschluß. Was damit umschrieben wird, ist ein Vorgang, welcher als "Arisierung" bekannt ist.
Die Arisierung jüdischen Eigentums wurde auch in Graz und der restlichen Steiermark in großem Umfange betrieben. Leider fehlt für die Steiermark dazu - im Unterschied zu Wien - bisher eine Aufarbeitung dieses Themas gänzlich. Ein Grund dafür ist, laut Univ.-Ass. Dr. Eduard Staudinger von der Abteilung Zeitgeschichte der Universität Graz, daß sich die Forschung erst in letzter Zeit mit der österreichischen "Tätergeschichte" der unteren und mittleren Ebene auseinanderzusetzen begonnen hat. Sieht man sich die Arisierung in Graz an, so ist es eine unmittelbare Geschichte der Täter, die vor Ort weh tut und sich nicht mehr in das Institutionelle abschieben läßt. Zudem war es sehr lange eine moralische Frage, sich mit den Opfern zu befassen, um sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Wir wollen die derzeit aktuelle Diskussion um das Thema Arisierung und die Einsetzung einer Historikerkommission zum Anlaß nehmen, die Täter in Graz genau so zu benennen, wie wir auch das Schicksal ehemaliger steirischer jüdischer Mitbürger in das Gedächtnis rufen wollen.
Die Arisierung - im nazistisch-rassistischen Jargon die "Entjudung" - betraf in der Steiermark 241 Betriebe und Betriebsbeteiligungen sowie über 1000 städtische Häuser und landwirtschaftliche Objekte, wobei die beiden letzteren allein einen Wert von 30 Millionen Reichsmark repräsentierten.
Die Arisierung von jüdischen Geschäften
Dem antisemitischen Wunsch nach Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung aus der steirischen Wirtschaft wurde von der NSDAP bereits 1929 Ausdruck verliehen. In ihren Grazer Nachrichten nahmen sie die Vorgänge von 1938 bereits vorweg: "Deutsche, kauft nur bei Juden! Laßt die Volksgenossen verhungern und geht zu den jüdischen Geschäftsleuten. Je größer das Unrecht wird, das Ihr dem eigenen Volk antut, umso eher kommt der Tag, da auch unter uns ein Mann aufsteht, die Peitsche nimmt und alle Schieber zum Tempel unseres deutschen Vaterlandes herausschlägt". Dem Artikel folgt eine Liste von über 200 tatsächlichen oder vermeintlichen Grazer Geschäftsleuten "jüdischer Rasse und Abstammung." Der Boden für das folgende Unrecht war daher im März 1938 gut aufbereitet und so setzte sofort nach dem "Anschluß" ein wildes Räubern und Plündern seitens lokaler Nationalsozialisten aber auch nationalsozialistischer Parteistellen ein. Harald Salzmann berichtet, wie bereits im März 1938 SA-Männer in die Wohnung seines Vaters eingedrungen waren und im Zuge einer "Hausdurchsuchung" ihn und seine Familie schikanierten. Nationalsozialistische Parteistellen in Graz requirierten allein am 12. und 13. März 1938 34 Autos sowie Motor- und Fahrräder, und in Bad Gleichenberg beschlagnahmte die lokale NSDAP ebenfalls bereits im März das jüdische Spital sowie weitere drei Gebäude.
Die Zeit der wilden Arisierung war allerdings nur von kurzer Dauer. ? Bereits im April 1938 war ein Gesetz erlassen worden, das jüdische Geschäftsleute aus dem Wirtschaftsleben ausschalten sollte. Die dafür geschaffene "Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit" organisierte die bürokratische Enteignung der Juden. Eine Reihe von Gesetzen regelte den staatlich legalisierten Raubzug. Im April 1938 wurde die Vermögensanmeldung für Juden verordnet, am 12. November 1938 – also unmittelbar nach dem Novemberpogrom – die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" erlassen. Im Dezember 1938 folgte die "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens".
In Graz wurde daher in der Schmiedgasse 34 eine Zweigstelle der "Vermögensverkehrsstelle" eingerichtet. Durch diese Stelle wurde den jüdischen Unternehmen ein sogenannter "Kommissarischer Verwalter" zur Seite gestellt, welcher von den Eigentümern zu bezahlen war.
Der 1990 verstorbene Sohn des jüdischen Malermeisters Simon Salzmann, der einen gutgehenden Gewerbetrieb am Grazer Griesplatz betrieb, berichtet in seinen Erinnerungen:
"Ich erinnere mich sehr gut", so Harald Salzmann, "wie der Kommissär zu uns kam, um meinem Vater seine De-facto-Entmündigung zu erklären. Mein Vater mußte seine Brieftasche auf den Tisch legen, dann forderte er auch den Inhalt seiner Geldbörse ab. Dann nahm er alle Geschäftsschlüssel in Besitz."
Diese Verwalter, meist ehemalige illegale Parteigenossen, übernahmen die Leitung der finanziellen und wirtschaftlichen Gebarung der Unternehmen und verdienten sich damit ein nettes Zubrot. Alle Konten waren für die Eigentümer gesperrt. Damit wurden die jüdischen Inhaber in ihrem eigenen Geschäft von einem Tag auf den anderen zu rechtlosen Bittstellern. In den Akten der Vermögensverkehrsstelle finden sich dementsprechend viele Briefe und Gesuche, wenigstens einen kleinen Betrag zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausbezahlt zu bekommen. Die kommissarische Verwaltung hatte jedoch nur vorbereitenden Charakter, um gewinnbringende Unternehmen in "arische" Hände zu überführen. Wer ein jüdisches Unternehmen arisieren wollte, mußte sich darum bewerben. Man nutzte dabei bewußt die Notsituation der jüdischen Besitzer aus, um sich zu bereichern oder man sah es als gerechtfertigte "Belohnung" für erlittene Nachteile in der "Verbotszeit" zwischen 1933 und 1938 an.
Laut dem Historiker Dr. Staudinger lassen sich bei der "Entjudung" größerer Betriebe in der Steiermark zwei Typen von Ariseuren feststellen.
Da gibt es zum einen die lokalen Einzelariseure, welche versuchen, in einem Ort - wie etwa Bad Gleichenberg - das gesamte jüdische Vermögen an sich zu ziehen.
Andererseits bildeten sich richtige Interessengemeinschaften aus Rechtsanwälten, Vertretern der Verwaltung des Betriebes bzw. des Gaues, welche verschiedene Industriezweige in ihre Hände zu bekommen versuchen. Eine Paradebeispiel dafür ist die Arisierung der Maschinenfabrik Andritz, welche sich mehrheitlich im Besitz der Familie Gutmann befand. Neben dem Anwalt F. Knaffl gehörte zur Gruppe noch der ehemalige leitende Angestellte Bilowitzki sowie R. Steiner, ein Nationalsozialist der ersten Stunde. Wie bei allen größeren Unternehmen schaltete sich auch bei dieser Arisierung die Österreichische Kontrollbank ein, was zu einer mehrmonatigen Verzögerung führte.
Mitunter gerieten solche Konsortien auch in Konflikt mit den nationalsozialistischen Stellen, wie dies am Beispiel der Liquierfabrik Kraus in Pernegg zum Ausdruck kommt, da eine Monopolbildung den wirtschaftspolitischen Prinzipien des Nationalsozialismus widersprach.
Die Vorgänge rund um die Arisierung des Schuhhauses Spitz in der Herrengasse durch Herrn Baumgartner aus Krems zeigen, daß die brutale Gier auch zu großen Rivalitäten unter den Parteimitgliedern selbst führte. Es "kam Herr Moschitz in das Gauwirtschaftsamt und teilt mit, daß er Interessent für das Geschäft Spitz sei und daß er sich aufs Schwerste zurückgesetzt fühle. Herr Moschitz sagte, daß er sich dies auf keinen Fall bieten lassen werde, daß er zu sämtlichen Parteistellen gehen werde, um seine Beschwerde vorzubringen um so zu seinem Recht zu kommen. Er habe jetzt eine wesentlich schwerere Situation als früher, wo er darauf hinweisen konnte, daß Spitz Jude sei. Jetzt wo der Betrieb in arischen Händen liegt, sei er durch die Konkurrenz eben dieses Betriebes fast erschlagen. Dr. Kraft fragte, ob er denn nicht für das zweite Spitzgeschäft Interesse habe, worauf Herr Moschitz erwiderte, daß dies nicht in Frage komme, er habe entweder den Spitz in der Herrengasse haben wollen, oder kein anderes Geschäft".
Der Vorgang der Arisierung ist zwar durch die Akten der Vermögensverkehrsstelle dokumentiert. Jedoch ist die Durchsicht dieser oft ernüchternd. Die Akten bestehen in der Hauptsache aus bürokratischen Formularen, Zahlen und Berechnungen über den angeblichen Wert der jüdischen Unternehmen. Die menschlichen Tragödien, welche sich dabei abgespielt haben, sind nur ansatzweise spürbar, da die jüdischen Inhaber selbst kaum mehr zu Wort kommen. Dennoch lassen sich gewisse Strategien gut ablesen. Oft wurden die jüdischen Inhaber kriminalisiert. Ihnen wurden Wucherei, Betrug und Steuerhinterziehung unterstellt. Daneben gab es auch Diffamierungen der Art, daß mehrere weibliche Angestellte als Maitressen eines renommierten jüdischen Geschäftsmannes bezeichnet. Mit solchen Mitteln sollte die Ausmerzung einer ganzen Bevölkerungsgruppe moralisch gerechtfertigt werden.
Finden sich in den Akten bis November 1938 noch Kauf- und Mietverträge, die als korrekt bezeichnet werden können, so ändert sich mit der "Reichskristallnacht" die Situation radikal. Die jüdischen Besitzer wurden verhaftet und in das KZ Dachau transportiert.
In der Zwischenzeit wurden die Frauen, gezwungen die Kaufverträge zu unterschreiben. Gleichzeitig wurden viele Warenlager geplündert und ein großer Teil der Firmen liquidiert.
Die Ariseure kamen aber auch in das KZ, um dem Kaufvertrag unterzeichnen zu lassen. Der Mürzzuschlager Ignaz Eisler berichtete darüber 1948 in einem Brief über einen anderen Mürzzuschlager:
"Herr Haas bekam nach Dachau den Kaufvertrag zum Unterschreiben. Der Arme mußte nackt von 7 Uhr früh bis 7 Uhr abends bei 18° Kälte vor dem Tor stehen, dann schickten sie ihn nach Hause den Vertrag zu unterschreiben. Monatliche Zahlung von 200 RM. Der Zins war höher. Auch die bekam er oft nicht, da er noch immer die Steuern zahlen mußte. Im März 1940 hätte Franz Haas ausreisen können. Da schrieb er an Pfandl" - den Schwiegersohn des Ariseurs und Mieter von Wohnung und Geschäft - "er soll ihm für die Ausreise RM 5000 schicken. Er schrieb zurück, daß er sich in Langenwang eine Villa gekauft hat und das Geld daher brauche." Franz Haas und seine Frau kamen nach Auschwitz und wurden dort 1942 ermordet.
Nach dem Pogrom wurden zuvor vereinbarte Ratenzahlungen - wie auch der Fall Haas zeigt - nicht mehr eingehalten. Der zumeist beschämende Kaufpreis wurde nicht an die jüdischen Besitzer ausbezahlt, sondern landete auf einem Sperrkonto, von wo bei geglückter Ausreise oft der Löwenanteil des Betrages in Form der "Reichsfluchtsteuer" und der Vermögensabgabe abgezogen wurde. In vielen Fällen wurden ihnen noch offene Rechnungen auf Lagerbestände in Rechnung gestellt.
Die Arisierung betraf lediglich jenen Teil der Betriebe, die als rentabel galten. Die Mehrzahl der kleineren und unrentableren Unternehmungen wurden nicht arisiert, sondern einfach liquidiert. Diese Geschäftsauflösungen, welche sich anhand der Handelsregisterauszüge leicht nachvollziehen lassen, hatten "flurbereinigenden" Charakter. Oft wurden sie von jenen "arischen" Geschäftsinhabern betrieben, welche sich damit Konkurrenzunternehmen vom Hals schaffen wollten.
So bewarb sich ein ehemaliger Vorarbeiter um die Arisierung der Firma Salzman, was aber von einem Berufskollegen aus der Nachbarschaft verhindert wurde.
"Malermeister Lipp erhob schärfsten Einspruch. Er nützte die politische Lage aus, fordert er doch die Liquidierung diese Konkurrenz-Betriebes. Ein zweiter Berufskollege bediente sich gut. Er schleppte tagelang Möbel, Handwerksgeräte, Inventar aller Art weg, das ihm der Kommissär zu Schleuderpreisen übergeben hatte. Die Räumlichkeiten unseres Betriebes teilte man sich arischerseits auf. Diese Leute hatten immer die schöne Ausrede, die Juden müssen ohnehin weg, bevor es ein anderer nimmt, mache ich es!"
"Aufarbeitung" seit 1945
Unmittelbar nach Kriegsende flüchtete ein Teil der Bevölkerung in Selbstmitleid und die Rolle eines unschuldig verführten Opfers. Was in der Zeit zwischen 1938 und 1945 geschehen war, davon wollte man nichts mehr wissen. Diese Abwehrhaltung zu spüren bekamen jene Juden, welche überlebt hatten, erinnerten sie die österreichische Bevölkerung doch an deren schuldhafte Verstrickungen in das nationalsozialistische System. Diese individuelle Haltung der Verdrängung fand in der offiziellen Politik ihre Entsprechung. Vertriebene Juden wurden nicht zur Rückkehr eingeladen und in der Frage der Rückgabe und Entschädigung für zuvor geraubtes Vermögen wurde eine Hinhaltetaktik entwickelt, die Minister Helmer am 9. November 1948 mit der bereits zum geflügelten Wort gewordenen Phrase umriß. "Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen".
Dies bedeutete unter anderem, daß die Opfer selbst aktiv werden mußten, zumeist unter Einhaltung von Fristen, welche für im Ausland Lebende oft unüberwindbare Hürden darstellten. War es für sie nicht möglich zeitgerecht ihre Ansprüche geltend zu machen, so hatten sie doppeltes Pech, während den Nutznießern scheinlegaler Verträge ein zweites Mal die Gunst der historischen Stunde zugute kam. Es konnte sogar so weit kommen, daß der ehemalige jüdische Besitzer seinem Ariseur den Kaufpreis zurückerstatten mußte, selbst wenn er davon durch die ihm auferlegten Steuern nie etwas gesehen hatte.
Hatte der Ariseur in der Zwischenzeit das Geschäft vermietet, so mußte der ehemals jüdische Besitzer in einem oft lange dauernden Rechtsstreit Eigenbedarf nachweisen - unter Einhalten von kurzen Fristen versteht sich. Die Nutznießer der Arisierung empfanden sich durch Rückstellungsverfahren als Opfer und gründeten einen eigenen "Verband der Rückstellungsbetroffenen" mit Forderungen wie "Wiedergutmachung für die uns zugefügten Schädigungen". In ihrer Verbandszeitung stellten sie - in eindeutig antisemitischer Diktion - den Erwerb jüdischen Eigentums als redlich dar. Sie hätten bloß gekauft, um einem Juden die Flucht zu ermöglichen oder um ein heruntergewirtschaftetes Unternehmen zu retten. Die Tochter der ermordeten Mürzzuschlager Familie Haas, Emma Schönberger dazu: "Er betont, wie ja alle Österreicher, wie anständige Menschen sie sind, er und sein Schwiegervater, was sie alles verloren haben, was man ihnen alles genommen hat usw. Mit einem Wort, wir sind die Nutznießer und diese Herrschaften sind die Geschädigten."
Die "Rückstellungsgeschädigten" suchten und fanden in der Politik Verbündete. Vor allem Dr. Alfons Gorbach – selbst Verfolgter des nationalsozialistischen Systems - machte sich zu einem Vorreiter einer Politik des Entgegenkommens gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten. Er intervenierte immer wieder bei Anwälten der das Rückstellungsverfahren betreibenden Partei "für eine gütliche Austragung der Angelegenheit". So auch im Fall Haas, "da ein solcher Streit in Mürzzuschlag für beide Teile höchst unangenehm sein würde und es sich um die Existenz eines Kaufmannes handelt".
In die Länge gezogen wurde die "Wiedergutmachung" tatsächlich. 60 Jahre danach beginnt das offizielle Österreich sich seiner Geschichte zu stellen. Höchste Zeit also, daß auch die Steiermark sich der Aufarbeitung dieses dunklen Teils ihrer Geschichte annimmt.
Folgende Firmen haben die Übernahme jüdischer Geschäfte öffentlich in der Tagespost bekanntgegeben
(im Zeitraum von April bis Dezember 1938 ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Diese Liste sagt nichts über die jetzigen Besitzverhältnisse bzw. über eine Rückstellung an die ursprünglichen Besitzer aus; die Rückstellungsakten sind wegen der 50jährigen Archivsperre noch nicht öffentlich zugänglich.