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NS-Zwangsarbeit am Erzberg (Steiermark) 
 
 
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Abwehr im Projekt

(F) Tradierung des Nationalsozialismus – Formen der Abwehr  
 
 
 
 
 
 
Erfahrungen mit dem „Projekt Eisenerz“ /Teil I  
 
Formen der Abwehr bei der lokalen Bevölkerung und innerhalb des Projektes  
 
(Sommer 2001 bis Sommer 2002). 
 

 
Abwehr im Projekt 
 
Dieser Bericht über das Scheitern des Projektes "Steirisches Erz" erschien im März 2006 in der Linzer Zeitschrift "Versorgerin":
, siehe http://archiv.versorgerin.stwst.at/69/erz.html 
 
 
 
 
Steirisches Erz für Linz 
Erfahrungen mit einem Projekt zur NS-Zwangsarbeit  
 
Von Günther Jacob 
 
Der steirische Erzberg. Sein Anblick ist beindruckend. An bestimmten Sonnentagen glänzt er wie eine goldene ägyptische Pyramide, die auf wunderbare Weise mitten in die Alpen geraten ist. Die Kleinstadt Eisenerz am Fuße des Berges ist nicht weniger eigenartig. Sie hat nichts Ländliches, nichts von all dem, was man auf dem Weg hierher gesehen hat. Es sind meist mehrstöckige Häuser, gewaltige Arbeitersiedlungen, wie man sie keinesfalls mitten in den Alpen erwartet. Und am Stadtrand dann dieses Schloss, ein Jagdschloss von Hermann Göring! 
 
Für den Besucher ist es ein Ort voller Rätsel. Wie kommt dieser jüdische Friedhof hierher? Warum sind die Leute so abweisend, wenn man danach fragt? Wo sie doch so gerne Geschichten über »früher« erzählen, über die Römerzeit und mittelalterliche Wassermannsagen. 
 
Fast jedes österreichische Schulkind kennt diesen Berg aus Eisen, auf dem gigantische Lastwagen Erz transportieren und am Wochenende Touristen. Wer nicht selbst dort war, hat wenigstens ein Bild davon im Kopf, sei es durch die Übertragung eines HipHop Open Air oder wegen der vielen Motorradrennen, die Red Bull Hare Scramble oder Erzberg Rodeo heißen.  
 
Doch viel wird meistens nicht gewusst über den Erzberg. Nicht einmal in Linz, obwohl von dort aus - auch heute noch - täglich zwei Mal eine Taurus-Lokomotive mit 18 Waggons im Schlepptau zum Erzberg fährt, denn dort werden immer noch rund 2 Millionen Tonnen Erz abgebaut. Etwa 1,3 Millionen Tonnen davon sind für das Linzer Werk der voestalpine bestimmt. Ungefähr so viel wie 1936. Vom Erzberg bezieht Linz immerhin noch die Hälfte seiner Erze!  
 
Der Erzberg ist heute Eigentum der VOEST-ALPINE Erzberg GmbH, die durch einen Erzliefervertrag an Linz angebunden ist. Es ist also in den Grundzügen immer noch das Ursprungskonzept erkennbar. Dazu gehörte damals allerdings auch das KZ Mauthausen, das Häftlingsarbeiter sozusagen mit Rücknahmegarantie lieferte: wer nicht mehr konnte, wurde dort umgebracht.  
 
Im April 1938, nur wenige Wochen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, hatte Göring in Linz den Entschluss zur Errichtung der Hermann-Göring-Werke bekannt gegeben. Im nun »Ostmark« genannten Österreich entstanden neue industrielle Großprojekte. Die Hermann-Göring-Werke übernahmen in Hinblick auf die künftige Rüstungsproduktion Mehrheitsbeteiligungen an den Eisen- und Stahlwerken Alpine Montan, den Automobilwerken Steyr-Daimler-Puch und den Gussstahlwerken in Judenburg.  
 
Nach dem Willen der NS-Planer sollten zur Absicherung der Versorgung im Kriegsfall »heimische« Erzvorkommen genutzt werden. Damit war vor allem der steirische Erzberg gemeint, der mit in Tagebau und Stollenbaubetrieb gewonnenen 1,8 Millionen Tonnen Erzproduktion 1937 fast ein Viertel der Förderung in Deutschland und Österreich ausmachte. Man wollte die Produktion nun auf sechs Millionen Tonnen anheben. Doch spätestens seit dem Überfall auf Polen reichten die Arbeitskräfte nicht mehr aus, weil immer mehr Männer zur Wehrmacht eingezogen wurden. Im Dezember 1939 kamen die ersten 300 von 1.500 angeforderten polnischen Arbeitskräften am Erzberg an. Am Ende wurden dort Tausende unter furchtbaren Bedingungen ausgebeutet: Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus vielen Ländern, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge aus Mauthausen.  
 
Im Rundfunkarchiv Frankfurt findet man den ersten Betriebsappell der REICHSWERKE HERMANN-GÖRING in Linz vom 19.2.1941 mit den Ansprachen verschiedener »Betriebsführer« und »Gauleiter«: »Verehrte Gäste. Arbeitskameraden. Hier, wo sich heute Industriegebäude an Industriegebäude reiht, dehnten sich damals die weiten Auen der Donau, dehnten sich die Felder und Wiesen der Bauern. ... Die Entscheidung ist gefallen, daß wir drei große Gruppen in dem größten Konzern des großdeutschen Reiches haben. Es ist die Gruppe Waffen-Maschinenbau, Binnenschifffahrt und für Berg und Hüttenbetriebe. ...Und damit, Gauleiter, Gäste und Kameraden, ist ein historischer Tag gekommen: Die Verbindung mit dem Erzberg, der der Mittelpunkt der Eisenindustrie im großen deutschen Reiche immer gewesen ist. Zum ersten Mal wird auf dem Gebiet von Oberdonau steirisches Erz vom steirischen Erzberg verhüttet werden.«  
 
So hat es also angefangen. Linz, der Erzberg und Mauthausen – ein tödliches Dreieck, jedenfalls für jene, die nicht zur Herrenrasse gezählt wurden. Jetzt ist alles privatisiert. Die Aktie der voestalpine wird bald bei 100 Euro liegen. Dumm war, wer sie nicht im Jahr 2003 für 30 Euro gekauft hat. Das sind die Tatsachen. Der Rest ist Geschichte. Die NS-Zwangsarbeiter sind entschädigt. Jedenfalls 132.000 von ihnen. Sind das nicht auffällig wenige? Wer will das noch wissen? Es ist doch alles gut ausgegangen. Oliver Rathkolb hat vor 4 Jahren die beiden Bände »NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der 'Reichswerke Hermann Göring AG'« und »Zwangsarbeit - Sklavenarbeit: (Auto-) Biographische Einsichten« herausgegeben – mit wohlwollender Unterstützung der voestalpine, die da als Weltkonzern sozusagen durch musste. »Plötzlich« stand man in Linz vor dem »größten Nachkriegsfund an NS-Personal- und Lohnunterlagen eines Unternehmens«, denn in einem Flakturm aus dem II. Weltkrieg waren wundersamerweise die Unterlagen über das Schicksal von über 20.000 zivilen ausländischen Arbeitskräften wieder aufgetaucht.  
 
Nur für die Sichtung und Sicherung der Erzbergakten, die – das versicherte mir damals Oliver Rathkolb – teilweise ebenfalls dort liegen, gab und gibt es kein Geld, keinen Forschungsauftrag und kein Interesse, denn die dort oben am Erzberg, die betreiben keinen Welthandel, sondern verschieben ihr Erz nur bis Linz und Donauwitz, weshalb ihnen die Weltmeinung über all die Leichen, die dort unter den Gesteinshalden verschachert sind, einfach egal sein kann. Deshalb muss man auch niemand in die – ohnehin weitgehend »entsorgten« – Archive vor Ort lassen und deshalb sollte man das Thema dort in einer Kneipe besser nicht ansprechen. 
 
Anders gesagt: Der Erzberg, wo Tausende Zwangsarbeiter dafür schuften mussten, dass in Linz Stahl für die Wehrmacht gefertigt werden konnte, ist bis heute praktisch unerforscht. Voest-Alpine Erzberg und die Gemeinde Eisenerz haben erfolgreich verhindert, dass das Wissen um die historischen Ereignisse nach außen dringt. Und das wird, aus Gründen, die noch zu erwähnen sind, wohl auch in Zukunft so bleiben.  
 
Bekannt sind – seit wenigen Jahren – nur einige Eckdaten: Am Erzberg gab es ein Lager für etwa 600 Wiener Juden, die von 1940 bis 1941 (also vor den Deportationen »in den Osten«) dort im »geschlossenen Arbeitseinsatz« (formal sogar bezahlte) Zwangsarbeit leisten mussten. Außerdem mehrere Lager für tausende Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus aller Welt. 1939 waren es 1700 Personen aus Slowakei, Polen, Jugoslawien. 1941 waren es bereits 4879 Zwangsarbeiter und 756 Kriegsgefangene. Im Januar 1944 waren es 4514 Zwangsarbeiter (davon 575 Frauen) und 1871 Kriegsgefangene. Die Gesamtzahl der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen am Erzberg liegt allerdings weitaus höher, denn es waren nicht immer die selben Personen dort. Kranke wurde oft nach Mauthausen geschickt, wo sie ermordet wurden. Insgesamt dürften bis zu 16.000 Menschen in dieser kleinen Stadt mit nur wenigen tausend Einwohnern geschuftet haben. Es muss ein Hexenkessel gewesen sein! Und die genauen Todeszahlen sind bis heute unbekannt. Aus dem Rapportbuch des KZ Mauthausen geht zudem hervor, dass es am Erzberg eine Außenstelle gab. Dieses »K-L. Eisenerz« existierte von Juni 1943 bis 14.3.1945 mit 527 Häftlingen. Davon haben 226 überlebt. Sehr wahrscheinlich, aber vielleicht nicht mehr beweisbar ist, dass es auf der hinteren Bergseite auch ein Lager mit einer Gaskammer gab. Es gibt einzelne Zeugenaussagen und ein Foto in Privatbesitz. Es wird gesagt, man habe die Gaskammer angesichts der näherrückenden Front nicht mehr »in Betrieb« genommen, sie sei nach einer Sprengung unter Millionen Tonnen Gestein vergraben.  
 
Man ist gut im Beiseiteschaffen in Eisenerz. Als Archivare waren bis in die 1960er Jahre alte Nazis tätig, einer sogar, der seinerzeit in Graz als Mörder verurteilt worden war. Es gibt das Material in Linz, das niemand sehen will. Es gibt einige Dokumente in Eisenerz, die niemand sehen soll. Es gibt zu fast allen Nebenlagern des KZ Mauthausen Dokumente. Und zu Eisenerz fast nichts. Es gibt von fast allen Gendarmeriestellen der Steiermark Gendarmerieprotokolle. Doch zu Eisenerz wurden keine gefunden. All das ist kein Zufall. In Eisenerz war die Mehrheit der Bevölkerung direkt an der Unterdrückung der ausländischen Arbeitskräfte beteiligt. Hinzu kamen die kollektiven Verbrechen in der Endphase der Nazizeit, vor allem die Ermordung der ungarischen Juden bei ihrem Todesmarsch über den Präbichel. Und Eisenerz ist eine weit abgelegene, kleine Bergbaugemeinde. Da kennt jeder jeden, da gibt man Fremden keine Auskünfte.  
 
Doch in den Jahren 2000 und 2001 eröffnet sich durch eine besondere gesellschaftliche Situation plötzlich ein Zeitfenster, eine kurze Zeitdauer, in der es offenbar erstmals ein wachsendes Interesse an der Aufhellung der verschwiegenen Ereignisse am Erzberg gibt. Dadurch, dass zur selben Zeit die FPÖ in die Regierung eintritt und internationaler Druck Österreich zwingt, einer Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter zuzustimmen, kommt es zu einer gewissen Mobilisierung grünalternativer und linksliberaler Milieus, von Leuten, die sich für ein angesehenes »gutes Österreich« engagieren und sich der Vergangenheit daher stellen wollen.  
 
Besonders die Aufnahme der FPÖ in die Regierung machte eine Auseinandersetzung mit dem Fortwirken der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Gegenwart (und damit auch nach der Neubearbeitung der Vergangenheit) dringlich. Das Thema der Zwangsarbeit wiederum erinnerte direkt an die materielle Seite dieser Tradierung – an die Geschichte der Industrialisierung der »Ostmark«, an das »Wirtschaftswunder« der Nachkriegszeit und an die Vererbung des Reichtums an die Jüngeren.  
 
So oder so stößt man hierbei immer wieder auf die Hermann-Göring-Werke und damit auch auf den Erzberg, der wegen seiner immensen Bedeutung für die Aufrüstung der deutschen Wehrmacht, in vielen Dokumenten erwähnt wird, zum Beispiel auch in den Protokollen der Nürnberger Prozesse. Schon das wenige, was da steht, lässt erahnen, unter welchem Gewaltdruck am Erzberg produzierte wurde. 
 
Als ich nach ersten eigenen Recherchen aus einem ganz anderen Grund im Jahr 2000 ins Grazer Forum Stadtpark eingeladen wurde, stellte sich beim Abendessen heraus, dass gleich mehrere der anwesenden Grazer Künstler private Beziehungen in die Region um den Erzberg hatten. Einige kamen von dort und wunderten sich über ihr Nichtwissen, in zwei Fällen waren die Großväter SS-Ärzte am Erzberg, andere kannten wiederum Historiker, die in den 1980er Jahren dort zur Arbeiterbewegung geforscht hatten. Dass der Vorschlag, der Sache auch praktisch nachzugehen, sofort auf breite Zustimmung stieß, das hängt mit der außergewöhnlich politisierten Situation zusammen, die so nur wenige Monate bestand. 
 
Das Konzept war schnell geschrieben. In bewußt polemischer Anspielung auf den in dieser Sache ganz und gar gleichgültigen Steirischen Herbst wurde das Projekt »Steirisches Erz« genannt – mit dem erklärenden Zusatz: » - eine politische und künstlerische Lektüre kollektiver Gedächtnisspuren am Beispiel der NS-Zwangsarbeit am Erzberg.« Das Forum Stadtpark stellte seine Infrastruktur zur Verfügung. Zur gleichen Zeit entstand unabhängig davon ein von Peter Kessen und mir produziertes Feature über die NS-Zwangsarbeit am Erzberg, das im Februar 2001 vom Deutschlandfunk ausgestrahlt wurde. 
 
Die Projektplanung sah folgende Aktivitäten vor:  
 
1. Aufbau einer Dokumentensammlung sowie Präsentation der Rechercheergebnisse auf einer Homepage.  
 
2. Eine Exkursion am 10. März 2001 mit politischen Aktivisten, Historikern, Journalisten und Künstlern zum Erzberg.  
 
3. Kontaktaufnahme zu ehemaligen Zwangsarbeitern.  
 
4. Eine Konferenz mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen sowie mit verschiedenen Forschern (Florian Freund, Helmut Fiederer, Evan Burr Bukey, Fritz Weber, Peter Böhmer, Jan Otrebski, Walter Dall-Asen u.a.) zum Thema »NS-Zwangsarbeit am steirischen Erzberg«.  
 
5. Eine Ausstellung im Forum Stadtpark, in der das recherchierte Material sowie künstlerische Arbeiten dazu präsentiert werden. 
 
6. Politischen Druck auf die Gemeinde Eisenerz, die VOEST- ALPINE Erzberg, die Bergwerkskassen und die Landesregierung mit den Zielen:  
 
a. Zugang zu den Archiven.  
 
b. Einladung noch lebender früherer Zwangsarbeiter.  
 
c. Hilfe für diese bei der Suche nach Nachweisen,  
 
d. Kritik am Entschädigungsverfahren durch Benennung der konkret verantwortlichen Betriebe statt durch pauschale, also anonyme Zahlung aus Steuermitteln.  
 
e. Entschädigung auch für damalige Kriegsgefangene.  
 
f. Rücknahme der die Zwangsarbeit relativierenden Entschädigungszahlungen an ehemalige Wehrmachtssoldaten. 
 
g. Markierung der Orte der Zwangsarbeit (Arbeitsorte, Lager, Grabstätten) durch Gedenktafeln sowie eine offizielle Entschuldigung des Bürgermeisters bei den früheren Zwangsarbeitern und eine Einladung nach Eisenerz (etliche frühere Zwangsarbeiter/innen hatten sich, weil sie keine andere Möglichkeit sahen, an das Tourismusbüro der Stadt gewendet, ohne jemals eine Antwort zu bekommen).  
 
h. Aufnahme der historischen Tatsachen in die Stadtchronik und entsprechende Informationen bei den Touristenführungen.  
 
i. Keine Motorradrennen und HipHop-Konzerte an den Orten, an denen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen gequält wurden.  
 
j. Dokumentation der Rechercheergebnisse und Erfahrungen in Buchform.  
 
Ein umfassendes Programm zweifellos, aber das politische Klima war günstig, das Vorhaben nicht so utopisch wie es heute wohl wirkt. Doch bis Ende 2001 waren nur die Punkte 2 und 5 ganz und die Vorhaben 1 und 4 teilweise verwirklicht. Das Zeitfenster sollte sich schneller schließen als erwartet. Es stellte sich heraus, dass ein grünalternatives bis linksliberales Mittelschichtmilieu trotz bester Absichten und trotz des erklärten Willens, es Haider & Co. zu zeigen, einer derart unmittelbaren Konfrontation nicht gewachsen ist. Einer Konfrontation, die sowohl die Auseinandersetzung mit der eigenen Verwandtschaft bzw. regionalen Herkunft als auch mit der aggressiven Abwehr aus Eisenerz umfasste. 
 
Bereits auf der Rückfahrt von der Exkursion zum Erzberg im März 2001 hatten Teilnehmer behauptet, das Projekt trete in Eisenerz als »Rächer« der Zwangsarbeiter auf, beschuldige pauschal die lokale Bevölkerung und zerstöre dort die letzten Arbeitsplätze. Die Empathie, die zunächst den NS-Opfern galt, kippte plötzlich um in Mitleid mit der Tätergesellschaft und jenen, die sich mit dieser identifizieren, obwohl sie selbst gar keine Schuld haben.  
 
Einzelne Teilnehmer und einige Mit-Kuratoren nahmen später sogar Kontakt zu lokalen Verantwortlichen auf und wollten – unter Änderung des Projektzieles – in Kooperation mit ihnen eine sozialarbeiterisch motivierte Heimatgeschichte aus dem Thema machen. Um an EU-Fördergelder heranzukommen, verpflichteten sie sich zu einem Konzept, in dem sogar die Zielsetzung »Förderung von Arbeitsplätzen« in der Region vorgesehen war. Im Sommer 2002 führten zwei Mit-Kuratoren des ersten Projektteils tatsächlich eine zweite Fahrt zum Erzberg durch, deren zentraler Erfolg in der Anmietung des örtlichen Stadtsaales bestand, womit die EU-Auflage erfüllt war. Man zeigte dort ein Theaterstück ohne jeden Bezug zum Thema, aber auch diese Anbiederung machte die Einheimischen nicht zutraulicher – die Veranstalter blieben unter sich.  
 
Dabei war die Mehrheit der Teilnehmer und Teilnehmerinnen zunächst sehr engagiert. Die Konfrontation mit den historischen Ereignissen und der anhaltenden, sehr aggressiven Abwehr vor Ort hatte viele während der ersten Exkursion tief getroffen, besonders aber jene, die einst in der Regionen aufgewachsen waren oder verwandtschaftliche Beziehungen in die Obersteiermark – womöglich zu Mitbeteiligten – haben und nun mit den Lügen und dem Schweigen ihrer Familien konfrontiert waren: Von der NS-Zwangsarbeit am Erzberg hatten die meisten nie zuvor etwas gehört.  
 
Nun fanden Seminare statt, Artikel wurden geschrieben, Radiosendungen gemacht. Es entstanden verschiedene Dokumentationen, ein erster Lageplan mit den Standorten aller Lager, mehrere Videodokumentationen (u.a. über einen SS-Arzt am Erzberg), außerdem die Komposition »Epitaph« ...eine musikalische Grabinschrift in 6 Teilen«, der Entwurf eines Theaterstücks, mehrere Plakate (gegen ein Plakat wurde von der Iron Mountain Entwicklungs Ges. eine Klage »wegen Rufschädigung« angedroht) und etliche künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Thema.  
 
Die Eröffnung der Ausstellung in Graz am 21. Juni 2001, dem Vorabend des 60. Jahrestages des Überfalls der Wehrmacht auf die Sowjetunion, war trotz vieler Schwächen ein explizit politisches Ereignis. Die Ausstellung selbst war gut besucht, auch aus der Region Eisenerz kamen Besucher, allerdings auch Kundschafter der dortigen Lokalfürsten. 
 
Die entscheidende Bruchstelle des Projektes war offensichtlich die Frage der »Anklage«. Man hatte sich nun mit den historischen Tatsachen konfrontiert und war auch empört über das Schweigen vor Ort. Doch was soll dann passieren? Zur Tätergeneration steht man meistens in einem (unbewussten) Verpflichtungsverhältnis - moralisch, psychisch und materiell. Soll man diese anklagen? Und mit welchem Ziel und welcher Konsequenz?  
 
Und die Region; ist sie nicht ohnehin schon schwer geschlagen durch Strukturschwäche, Arbeitslosigkeit und ausbleibende Touristen? Jetzt drängte alles zur Katharsis. Wenn man erst einmal gemeinsam geweint hat, war man endlich fähig zum Mitgefühl – mit den »eigenen Leuten«. Und in diesem Moment war politisches Denken, das auf die Einhaltung explizit bürgerlicher Mindeststandards pocht - Öffnung der Archive, Markierung der Tatorte, Entschädigung und Entschuldigung bei den noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern - unmöglich geworden.  
 
Freud prägte den Begriff der »Erinnerungsspuren«, eine Art unbewußter Transmission, indem das von Eltern/Großeltern Erlebte, unabhängig von direkter Mitteilung und von dem Einfluß der Erziehung durch Beispiel, intergenerativ tradiert wird. Während der Durchführung des Projektkonzeptes hat dieser Tradierungszusammenhang seine Wirkung gezeigt.  
 
Während der Durchführung des ersten Teils des Projektes beherrschte das Thema NS-Zwangsarbeit angesichts des Streites um Entschädigungszahlungen die Titelseiten aller Zeitungen. Unser Gegenstand war alles andere als abgelegen. Man benötigte weder Spezialwissen noch eine außergewöhnliche Courage, um sich daran zu beteiligen. Dennoch waren viele Beteiligte nicht bereit, die politische Aktualität des Projektes anzuerkennen. Dieses Heraushalten von Politik war eine besonders irritierende Erfahrung.  
 
Während die Einfühlung in die Befindlichkeit der Bevölkerung von Eisenerz die Diskussionen immer stärker beherrschte, verschwanden die realen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die in der Tagespresse immerhin Thema waren, aus der Wahrnehmung. Damit fehlte auch das Motiv, politischen Druck auszuüben. Es wäre damals möglich gewesen, über einzelne Abgeordnete einen Antrag auf Öffnung der Archive in Eisenerz im steirischen Landtag einzubringen.  
 
Durch ein entschlossenes Auftreten hätte auch der Druck auf die Lokalpolitiker erhöht werden können (die bei jeder Erwähnung um den Tourismus bangten). Da diese jedoch schon bald die Unentschlossenheit auf unserer Seite bemerkten, gingen sie selbst in die Offensive und reagierten mit einer massiven Drohkampagne gegen örtliche Unterstützer des Projektes, die so gedemütigt wurden, dass einige uns baten, die Verbindung abzubrechen.  
 
Das Projekt »Steirisches Erz« hatte erstmals in Österreich die NS-Zwangsarbeit am Erzberg und ihren Zusammenhang mit der Stahlproduktion in Linz sowie mit dem KZ Mauthausen thematisiert. Nach etlichen Rundfunk- und Presseberichten über das Projekt und durch die verschiedenen Aktivitäten in der Steiermark, kann nicht weiter behauptet werden, da wäre nichts geschehen. Entsprechend alarmiert war man in Eisenerz und Umgebung. Nach dem entpolitisierenden Verlauf des Projektes im Jahr 2002 ist dort wieder die Normalität eingekehrt.  
 
Einzelne, die zeitweise bei dem Projekt mitmachten, haben sich mit Lokalpolitikern und anderen Gegnern des Projektes zusammen getan. Einige setzten sich plötzlich für ein Denkmal für die ungarischen Juden ein, die 1945 während eines am Erzberg vorbei führenden Todesmarsches erschossen wurden. Wir machten die eigenartige Erfahrung, dass sie dieses »Thema« deshalb mehr interessierte, weil es sich bei den Mördern um eine kleine Gruppe handelte, die schon 1945 hingerichtet worden war. Die Thematik der NS-Zwangsarbeit wurde demgegenüber als belastender empfunden, weil sich hier die ganze lokale Bevölkerung an der Drangsalierung beteiligt hatte.  
 
Die Akteure von damals haben sich längst verlaufen und zerstreut. Der Erzberg taucht nur am Rande noch in den Künstlerbiographien auf – als eines von vielen Projekten in einem Leben, das sich als Reihung von Projekten darstellt, als staatliche Alimentierung auf mal höherem, mal niedrigerem Niveau, prekär, aber in Erwartung der Eigentumswohnung der Alten.  
 
Dass Scheitern der Aktion »Steirisches Erz« ist in Graz allgemein bekannt. Diejenigen, die daran mitgewirkt hatten, sind heute eher kleinlaut. Genau genommen handelt es sich dabei aber um ein neues Schweigen in bestimmten Künstlermilieus zwischen Graz und Wien, das dem der Bürger von Eisenerz leider ganz ähnlich ist. Irgendwo in dieser verspiesserten Lebenswirklichkeit des Projekte-hoppings hält sich das Wissen, dass aus der so pathetisch angekündigten Aufkündigung des Verpflichtungsverhältnisses gegenüber der eigenen Sippe seinerzeit nichts geworden ist.  
 
Das verursacht keine schlaflosen Nächte, aber nimmt dem Projekteschmieden ein wenig den jugendlichen Schwung. Der Klebstoff aus Exposé-Schreiben, reduziertem Anspruch und Steuererklärung ist nun noch zäher geworden, auch wenn das nächste Projekt schon wieder unter Dach und Fach ist: Mozartjahr, Linz 2009, 65 Jahre Kriegsende... es wird ja immer was abfallen in diesem reichen Staat, der sogar noch für die besonders zähen unter den ehemaligen Zwangsarbeitern einen Euro übrig hat.  
 
Der Umstand allerdings, dass man keinen Grund hat, sich mit der Kampagne »Steirisches Erz« zu brüsten, ist zugleich das Motiv, darauf zu achten, dass dieser Verlauf nicht skandalisiert werden kann. Und hier dürfen sich alle Beteiligten darauf verlassen, dass im Betriebssystem Kunst von allen Seiten die Regeln eingehalten werden: Wo alle geradezu gezwungen sind, in Kleingruppen ständig neue Weideplätze ausfindig zu machen, wo man sich ein politisches Gedächtnis gar nicht erlauben kann, da hackt ein Projekt dem anderen kein Auge aus.  
 
Wie hermetisch das Zeitfenster inzwischen wieder geschlossen ist, zeigte sich erneut Ende 2005, als Wiener Künstler im Grazer Forum Stadpark die Ausstellung »Zur Tektonik der Geschichte« ankündigten. Es war in diesem Haus die erste Bezugnahme auf die NS-Zeit seit dem Scheitern eines immerhin recht groß angelegten Projektes zur NS-Zwangsarbeit.  
 
Und »Zur Tektonik der Geschichte« wurde von Leuten gemacht, die von der Verwandlung des Erzberg-Projektes in einen Generationendialog wissen, die es bislang ablehnten, sich hinter dem Rücken der NS-Opfer mit den »eigenen Leuten« zu einigen. Aber dann geschah wieder etwas ganz und gar Eigenartiges: Die Kuratoren und Teilnehmer/innen der Ausstellung hatten bei ihrem Rückblick auf den Umgang der Kunst mit der Geschichte, das Projekt »Steirisches Erz« mitten in Graz einfach »vergessen«. Als sie daran erinnert wurden, waren sie über sich selbst irritiert. Aber dann haben sie die Zusage, Korrekturen in ihrer Ausstellung nachträglich unterzubringen, solange verzögert, bis es dazu zu spät war.  
 
Das war nicht alles: Zwei Künstlerinnen bezogen sich im Forum Stadtpark überraschend mitfühlend auf Wehrmachtssoldaten und Sudetendeutsche. Meine Hoffnung, dass dahinter gewiss eine mir nur zunächst entgehende aufklärerische Absicht stehen wird, erwies sich leider als unbegründet. 
 
So weiß man am Ende nicht so recht, auf welchen Begriff man diese Erfahrungen bringen soll. Aus der Nähe betrachtet, löst sich alles in eine Reihe menschlicher Schwächen auf. Mit etwas Abstand zeigt sich, dass hier gewaltige Kräfte am Werk sind: Familie, Nation, Vergangenheit, sozialer Status, Erbschaft in jedem Sinn des Wortes, die Entscheidung für eine bestimmte Existenzweise. Letztlich aber wird daraus der politische Wille, genau so zu handeln, wie man handelt. 
 
 
 
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(c) Günther Jacob - Diese Website wurde mit Hilfe von Populus generiert.
Letzte Änderung am 13.09.2017
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