Info 4- Zwangsarbeit Steiermark
Projekt Eisenerz
Februar 2001
(D) Materialien
INFO: ZWANGARBEIT STEIERMARK
Von Homepage „Die andere Steiermark“ 4/2000
(„die andere Stiermark“ ist ein fragwürdiger Titel: Widerstand damals soll Identifikation heute retten)
Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine in Voitsberg
Als Arbeitssklaven in der Steiermark
Sie kamen aus Russland, der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern. Als Slawen waren sie nach NS-Diktion Angehörige minderwertiger Rassen. Aber je mehr Soldaten des Deutschen Reiches an den Kriegsschauplätzen kämpften, um so größer wurde der Mangel an Arbeitskräften an der Heimatfront. Um diesen auszugleichen, beschloss „man“ ab 1942 die zwangsweise Rekrutierung von rund 5 Millionen ZivilistInnen als „OstarbeiterInnen“.
AUCH IN DER STEIERMARK WURDEN ÜBER 40.000 dieser ZwangsarbeiterInnen aus der damaligen Sowjetunion in Industriebetrieben und der Landwirtschaft zur Arbeit gezwungen.
Erst in jüngster Zeit beginnt sich auch Österreich mit diesem „verdrängten“ Kapitel seiner Geschichte näher zu befassen und die Bundesregierung plant noch für heuer die Auszahlung erster Entschädigungsgelder.
(Was ist falsch an diesem Satz?)
Nachdem Versuche, Freiwillige für den Arbeitseinsatz im Deutschen Reich anzuwerben, erfolglos (Phrase!) blieben, ging „man“ dazu über, Zivilisten zwangsweise zu rekrutieren. Fritz Sauckel, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, erklärte 1942: „Ich werde die Millionen „Ostarbeiter“ nach Deutschland holen, ohne Rücksicht auf ihre Gefühle, ob sie wollen oder nicht.“
Verschleppt in die Steiermark
Dafür wurden ganze Jahrgänge vor allem Jugendlicher erfasst. Zwischen der schriftlichen Verständigung zum Arbeitseinsatz und dem Abtransport verstrichen oft nur wenige Tage. Wer nicht freiwillig kam, wurde mit Waffengewalt zu Hause abgeholt. Der 17-jährige Ivan Stavickij wurde am Morgen des 22. Oktober 1942 in seinem Heimatdorf in der Ukraine zu Hause festgenommen und in ein Lager in Perejaslav gebracht; von dort ging es dann in Viehwaggons in die „Ostmark“; über drei Wochen lang dauerte die Fahrt.
Galina Žganjar, Jg. 1925, aus Novoèerkassk am Don, die als „Ostarbeiterin“ bei Lapp-Finze in Kalsdorf arbeitete, wo sie heute noch lebt, schildert im Gespräch die Umstände, unter denen sich der Sklaventransport vollzog: „Wir wurden in Viehwaggons transportiert. Erste Station war in der Nacht in Polen. Dort haben wir uns gewaschen. Wir mussten uns dabei beeilen, sonst setzte es Schläge mit einem Knüppel auf den Kopf.“ In den Waggons waren so viele Menschen zusammengepfercht, dass kaum Platz zum Schlafen vorhanden war.
„Wir arbeiteten durchnässt bis zum Morgen“
Kaum angekommen wurden die Verschleppten auf die einzelnen Betriebe und Bauernhöfe aufgeteilt. Die in der Industrie Tätigen wurden in bewachten Lagern neben den Fabriksanlagen eingesperrt, während die ZwangsarbeiterInnen in der Landwirtschaft bei den Bauern untergebracht waren. Zur äußerlichen Diskriminierung mussten die „OstarbeiterInnen“ ein blaues Abzeichen mit der Beschriftung „OST“ tragen.
Die Arbeitsbedingungen in der Fabrik, in der Galina Žganjar ab November 1942 mit 60 anderen „OstarbeiterInnen“ eingesetzt war, waren unmenschlich. Als Žganjars Handfläche durch die harte Arbeit zur Gänze von einer Blase bedeckt war, „hat der Meister einen Bleistift genommen, die Blase damit durchgestochen und gesagt: „Geh arbeiten!“ Dann musste ich wieder zur selben Maschine zurück.“ Das Verhältnis zu den einheimischen ArbeiterInnen beschreibt Žganjar hingegen als grundsätzlich positiv – obwohl sie offiziell nicht mit ihr sprechen durften.
Der Alltag in der Pölser Papierfabrik war ähnlich hart, berichtet Stefanija Kalynèuk aus Psenièniki in der Ukraine, heute 73 Jahre alt: „Wenn jemand bei der Nachtschicht einschlief, wurde er mit kaltem Wasser aus einem Schlauch angespritzt. Dann arbeiteten wir durchnässt bis zum Morgen.“
„Sie schlugen mich dafür, dass ich für sie arbeitete“
So erzählt die Ukrainerin Marija Antonovna Il’èuk aus Zivanovo, die nach Judenburg verschleppt wurde: „Der Bauer war sehr böse und hat mich schwer geschlagen … hauptsächlich ins Gesicht und auf den Kopf … auch seine Frau, der Vater und die Mutter.“ Verbittert meint sie: „Sie schlugen mich dafür, dass ich für sie arbeitete“. Manche der Jugendlichen – wie etwa der damals nicht einmal 16-jährige Michail Kwas, der am 17. Juni 1942 nach Obdachegg verschleppt worden war, wurden von ihren Sklavenhaltern sogar ausgepeitscht.
Zur Aufteilung der einzelnen ZwangsarbeiterInnen auf die Landwirtschaften wurden regelrechte Sklavenmärkte veranstaltet. Nadežda Petrovna Kondrat’eva, die 1942 in die Steiermark verschleppt wurde, berichtet von einem solchen „Markt“ in Judenburg: „Dorthin kamen Bauern aus der Umgebung und suchten sich Arbeiter aus. Wenn jemand einem gefallen hat, wurde ihm ein Schildchen mit dem Namen des Bauern um den Hals gehängt und diese Person wurde dann von niemandem mehr angerührt.“
Manche ZwangsarbeiterInnen hatten Glück: Sie kamen zu Bauern, die sich bemühten, ihre Lage erträglicher zu gestalten. So erlaubte etwa der Bauer Ludwig Laitner aus Hohentauern – gegen die Anordnungen der Nazi-Behörden – der damals 20-jährigen Marija Nauchackaja aus Gromovo in der Ukraine, jeden Sonntag ihre Landsfrau und Freundin Nadežda zu besuchen, die bei einem Nachbarn arbeitete.
„Dreckige Russen“ – auch nach dem Krieg
Je näher gegen Kriegsende die Front rückte, um so mehr wurden steirische „OstarbeiterInnen“ auch im Stellungsbau eingesetzt. Auf Flucht stand der Tod. Anton Zaliskij aus Kryvih Rih, der nach Knittelfeld verschleppt worden war, entging nur knapp der Exekution. Beim Stellungsbau in der Untersteiermark waren fünf seiner Freunde aus dem Lager geflohen. „Am Morgen danach stellten sie alle in Reih und Glied auf. Gegenüber standen die Deutschen mit automatischen Waffen. Im nächsten Moment fingen sie an loszuschießen. Die rechts und links von mir Stehenden fielen um.“
Mit dem Einmarsch der russischen Truppen in der Steiermark galten die sowjetischen ZwangsarbeiterInnen nunmehr als „Displaced Persons“. Sie wurden zuerst in Sammellagern zusammengefasst und dann in ihre Heimat zurückgebracht. Die Heimkehr war verbunden mit einer medizinischen, aber auch politischen Überprüfung durch die sowjetischen Behörden, was negative Folgen haben konnte, etwa Berufsverbote. Viele andere wurden für mehrere Jahre in die Rote Armee verpflichtet.
Aber auch für jene, die wie Frau Žganjar in der Steiermark geblieben sind, begann mit 1945 keineswegs ein sorgenfreies Leben. Sie berichtet von den Vorurteilen (? es sind Urteile) der Bevölkerung und den Beschimpfungen, welchen sie und ihre Kinder in den Nachkriegsjahren ausgesetzt waren. „Wir wurden angespuckt und beschimpft, dass wir dreckige Russen seien und verschwinden sollten.“
Späte Entschädigung
Nachdem es in Deutschland bereits 1996 zu einer ersten „Entschädigungszahlung“ an ehemalige „OstarbeiterInnen“ von lediglich rund 7000.-- Schilling gekommen war, stellt sich nun auch Österreich seiner historischen Verantwortung. Joachim Hainzl
(So kann eine Kritik enden! Als Erfolgsgeschichte! Anm. G.J.)
Gespräch mit Zganjar Galina,
einer ehemaligen „Ostarbeiterin“ in Kalsdorf
H: Wie sind Sie mit Ihrer Schwester gemeinsam aus Russland in die Steiermark gekommen?
Frau Zganjar: Unsere Familie lebte in Novocherkassk in der Nähe von Rostov am Don. Wie der Krieg 1942 angefangen hat und die Deutschen gekommen sind, haben wir von der Schule aus auf einer Kolchose gearbeitet. Die Kolchosenleiter sind geflüchtet. Zu uns, wir waren 23 junge Frauen und Männer, haben sie gesagt, wir sollen dort bleiben. Wir haben alle draußen auf der Wiese geschlafen. Dann haben wir die Motorräder der deutschen Truppen gehört. In der russischen Zeitung sahen wir vorher viele Karikaturen der Deutschen. Auf den Motorrädern hat man von ihren Gesichtern nichts außer den Brillen und den weißen Zähnen gesehen, so haben sie wirklich schrecklich ausgesehen. Es war noch ganz früh am Morgen. Wir waren ganz still, haben aber nicht geschlafen. Ein Soldat ist gekommen, hat uns bemerkt und gesagt: „Die schlafen ja noch“. Da wir in der Schule Deutsch gelernt hatten, haben wir ihn auch verstanden. Wir sind dann aufgestanden und hatten Hunger. Wir haben in den verlassenen Häusern nach Essen gesucht, aber wir haben uns nichts zu nehmen getraut, da oft etwas vergiftet gewesen ist.
Dann haben die deutschen Soldaten zu uns gesagt: „Sie dürfen nach Hause gehen, aber nur beim Tag“. In der Nacht nicht, da wir ansonsten entweder von ihnen oder den Russen erschossen werden könnten. Wir sind mehrere Tage gewandert, bis wir zum Don gekommen sind. Wir haben gesehen, dass die deutschen Truppen gerade eine Behelfsbrücke gebaut haben. Zum Glück haben wir ihre Sprache verstanden und so ließen sie uns über die Brücke. Als meine Schwester und ich dann nach Hause gekommen sind, waren unsere Eltern nicht mehr da. Ein fremdes Ehepaar war inzwischen dort. Alles war ausgeräumt. Aber in einem Zimmer, war die Stelle, wo sich der Wandschrank befunden hatte, zugemauert und da habe ich zu meiner Schwester gesagt, sie soll still sein, da unser Vater alles hier versteckt hätte, bevor er fliehen musste.
H: Wie alt waren Sie damals?
Frau Zganjar: Ich war damals sechzehn Jahre alt.
H: Wie war die erste Zeit der deutschen Besatzung?
Frau Zganjar: Zuerst mussten sich alle ab 14 Jahren bei den Deutschen anmelden und arbeiten gehen. Etwa bei Straßenarbeiten oder Ähnlichem. Wir hatten kaum etwas anzuziehen und zu essen haben wir nicht viel bekommen.
H: Wann sind Sie von Russland nach Österreich gekommen?
Frau Zganjar: Eines Tages, im Herbst 1942, wurde uns gesagt, dass wir morgen nach Rostow transportiert werden. Da mussten wir zuerst 45 Kilometer von Novocerkassk bis Rostow zu Fuß gehen. Wir konnten fast nichts mitnehmen. Es hieß nämlich, dass an der deutschen Grenze alles verbrannt wird und dass man dort neue Kleider bekommt.
H: Man wusste also, dass man nach Deutschland transportiert wird?
Frau Zganjar: Ja, wir hätten nach Deutschland kommen sollen. Aber da es auf der ganzen Zugstrecke Bombardierungen gegeben hat, hat man uns in Spital/Drau in Kärnten abgesetzt.
H: Wie waren die Verhältnisse während des Transports?
Frau Zganjar: Wir wurden in Viehwaggons transportiert. Erste Station war in der Nacht in Polen, aber welche Stadt, kann ich nicht mehr genau sagen. Immer in der Nacht sind wir angekommen. Dort haben wir uns gewaschen. Wir mussten uns dabei beeilen, weil man ansonsten einen Knüppel auf den Kopf bekommen hat. Unsere Kleider wurden desinfiziert, da wir von der Reise bereits Ungeziefer darin hatten.
Und irgendwo im Feld blieb der Zug dann manchmal plötzlich stehen. Dann hat es geheißen „Raus!“ und wir mussten unsere Not verrichten. Wir mussten dabei alle nebeneinander stehen, da konnte man sich nicht irgendwo abseits hinstellen. Dann ging es wieder zurück in die Waggons und Tür zu.
H: Wie lange hat dieser Transport von Russland bis nach Kärnten gedauert?
Frau Zganjar: Wir sind Anfang November 1942 nach etwa einem dreiwöchigen Transport angekommen.
H: Gab es auch Erkrankungen während diesem Transport?
Frau Zganjar: Da durfte ja niemand sagen, dass er krank ist. Da wäre er irgendwo rausgeschmissen worden, das haben wir schon geahnt. In einem Waggon waren so viele Menschen zusammengepfercht. Wenn man auf einer Seite nicht mehr liegen konnte, musste man zu seinem Nachbarn schreien: „Du, dreh dich um“. Und wenn der erste sich umgedreht hat, dann kam der nächste dran und dann der nächste. In der Mitte konnte man daher ganz schlecht liegen.
H: Wie ging es nach der Ankunft in Spital/Drau weiter?
Frau Zganjar: Dort gab es die Zuteilung an die Fabriken und für die Landwirtschaft und wer wieviel Arbeitskräfte benötigte. Wir sind zuerst in ein Lager nach Graz gekommen und dort hat man uns von Lapp-Finze (Anm. bei diesem metallverarbeitenden Unternehmen handelt es sich um die heutige Roto Frank Eisenwarenfabrik AG in Kalsdorf) ausgesucht. Es wurde gesagt, man braucht dort so und soviele junge Frauen und Männer. Unser Lagerführer, ein Deutscher, hat uns abgeholt. Wir waren zuerst 20 Mädchen, meine Schwester war auch dabei. Dann wurden wir ins Lager gebracht. Das war umzäunt und bewacht und befand sich gleich neben der Fabrik. Eine Woche später sind noch 20 Männer gekommen. Insgesamt waren wir 40 Mädchen und 20 Männer in unserem Lager.
H: Welche Arbeit mussten Sie leisten?
Frau Zganjar: Die Arbeit war schwer und oftmals waren die Meister oder Aufpasser unerträglich. Zum Beispiel habe ich mir einmal die Hand verbrannt (Anm. J.H.: sie wurde dabei durch einen Meister gestoßen), aber ich musste trotzdem arbeiten gehen. Ein anderes Mal hatte ich sehr schwere Kisten hochzuziehen und davon hatte ich auf meiner ganzen Handfläche eine einzige Blase. Ich bin zum Meister gegangen und habe gesagt: „Bitte, könnten Sie mir vielleicht eine andere Arbeit geben?“ Er hat einen Bleistift genommen, die Blase damit durchgestochen und gesagt: „Geh arbeiten!“ Ich musste wieder zur gleichen Maschine arbeiten gehen.
Einmal sind mir heisse Späne in meinen Ausschnitt gefallen und haben mich verbrannt, wovon ich noch heute eine Narbe habe. Ich getraute mich aber nicht, irgend jemanden von diesem Vorfall zu erzählen. Einer älteren Arbeiterin habe ich meine Wunde gezeigt und sie meinte “Um Gottes Willen, dir fällt ja die Brust weg“. Daraufhin wurde ich dann mehrmals im Rotkreuzzimmer der Fabrik verbunden.
H: Und sie mussten trotz dieser Verletzung weiterarbeiten?
Frau Zganjar: Ich habe starkes Fieber gehabt, aber musste trotzdem arbeiten.
H: Wieviele Stunden arbeiten Sie in der Fabrik?
Frau Zganjar: In meiner Abteilung, der Maschinenabteilung, waren wir fünf Mädchen und wir hatten zu zweit schwere Kisten stossweise hoch- oder herunterzuheben. Diese Kisten wogen zwischen 60 und 100 Kilo. Wir hatten zwölf Stunden zu arbeiten, aber die Zivilbevölkerung, das heisst, die anderen Arbeiter in der Fabrik, mussten gleich lange wie wir arbeiten. Wir haben genauso Nachtschicht gearbeitet wie sie. Aber im Unterschied zu uns hatten sie etwas zum Essen mit. Bei uns im Lager gab es nämlich um 6 Uhr abends das letzte Essen. Da die Nachtschicht in der Fabrik aber von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens dauerte, haben wir von diesem Abendessen nichts mehr bekommen. Um Mitternacht wurden die Maschinen für eine Essenspause eine Stunde abgeschaltet. Uns war es etwas peinlich und so sind wir immer an einen etwas abgelegenen Platz gegangen und haben uns dort hingelegt. Wenn die Maschinen dann wieder zu arbeiten begonnen haben, sind wir schnell wieder zur Arbeit zurückgegangen. Die anderen Arbeiter haben sich gefragt, wo wir immer in der Pause hingehen. Wir haben gesagt: „Schauen Sie, wir können doch nicht zuschauen wie Sie essen“. Die hatten ja auch nicht viel. Dann haben sie aber angefangen, heimlich für uns Essen mitzubringen und es für uns in Kisten zu verstecken. Wir konnten uns nie dafür bedanken, weil wir nicht gewusst haben, wer es hineingetan hat.
H: Waren Sie von den einheimischen Arbeitern getrennt?
Frau Zganjar: Nein, wir waren nicht getrennt (außer dass wir eine eigene Toilette in der Fabrik hatten), aber wir durften mit ihnen nicht sprechen. Wir durften etwa nur dem uns zugewiesenen Schlosser mitteilen, ob etwas kaputt ist.
H: Sie waren verpflichtet während der Arbeit ein eigenes Abzeichen tragen?
Frau Zganjar: Ja, das "OST" mussten wir immer tragen, entweder links oder am Arm. Das war ein Unterschied, aber uns hat niemand erklärt, was diesen Unterschied ausmachte. Ich habe es selbst erst später erfahren, dass das mit der Beurteilung von Fleiss, Pünktlichkeit und anderen Kriterien zu tun hatte.
H: Wie war die Versorgung im Lager?
Frau Zganjar: Zum Essen gab es in der Früh 10 Dekagramm Brot und dazu Kaffee. Ab und zu gab es auch Margarine. Zum Mittagessen gab es Kartoffelsuppe und am Abend das selbe. Inzwischen einmal ist die Versorgungslage schlechter geworden. Da sind Lastwägen gekommen und haben Säcke abgeladen. Es waren Rüben, aber damit musste der Lagerführer dann wieder aufhören, da sie nur mehr als Schweinefutter verwendbar waren. Da hatten wir schon einen anderen Lagerführer, einen Kalsdorfer. Der hat irgendwie ein Herz gehabt. Er ist zu den Bauen gefahren und hat ihnen die Rüben als Schweinefutter im Tausch für Kartoffel angeboten (der frühere Lagerführer war an Typhus erkrankt. Er wurde nur von uns gepflegt, ansonsten hat sich niemand um gekümmert. Er ist dann gestorben, das haben wir dann auch gemeldet).
Wenigstens gab es im Lager die Möglichkeit, dass wir unsere Wäsche waschen konnten. Von den Maschinen, welche Seifenpulver zum Drahtziehen benutzten, haben wir etwas Seife gestohlen. Denn wir haben nur alle Monate ein kleines Stück Seife bekommen, was viel zu wenig war. Wir waren aber gewöhnt an Ordnung und Reinlichkeit, denn eine Laus ist bald da.
H: Wie war die Krankenversorgung im Lager?
Frau Zganjar: Wir hatten keinen Arzt und durften auch nie zu einem gehen. Wenn uns etwas passiert ist, dann wurden wir im Rotkreuzzimmer in der Fabrik notdürftig behandelt und sonst gab es nichts. Wir waren oft so matt oder krank, aber wir mussten trotzdem arbeiten gehen, auch Samstag und Sonntag. Einmal, als unsere Kleidung schon ganz zerschlissen war, haben wir gebrauchte Kleidung bekommen. Jedes Jahr bekamen wir dann auch ein Paar Holzschuhe.
H: Wie war im Winter die Situation in den Baracken?
Frau Zganjar: Es gab dort große Sägespäneöfen. Wir konnten aus der Fabrik Sägespäne mitnehmen. Diese waren noch mit Eisenspänen vermischt, da dieses Gemisch in der Fabrik dazu benutzt wurde, um die Ware glänzend zu machen. Heimlich haben uns dann Kalsdorfer mal etwas Kohle gebracht.
H: Aber da musste alles heimlich passieren?
Frau Zganjar: Ja, was glauben sie, wenn die Lagerführung das erfahren hätte, da wären die sofort im KZ gelandet. Wir haben keine Angst gehabt, denn wir hatten ja nichts zu verlieren, ausser unserem Kopf, aber wir hatten Angst um die Bevölkerung.
H: Gab es Möglichkeiten, aus dem Lager zu kommen?
Frau Zganjar: Nein, aber wir haben dann angefangen, die Regeln etwas zu sabotieren. Wir sind unter dem Zaun durchgeschlupft und in den Ort gelaufen. Einmal haben wir probiert, ins Kino zu gehen. Wie wir zurückgekommen sind, ist der Lagerführer schon dagestanden. Wir mussten uns aufstellen und er hat uns beschimpft. Wir waren still und haben kein Wort gesprochen. Dann wollte er, dass wir vor ihm niederknien aber wir haben nichts dergleichen getan. Da hat er schon einen Knüppel hervorgeholt. Eine von uns ist vorgetreten und hat ihn angeschrien „Ich habe vor meinen Eltern nie gebraucht niederzuknien und vor Ihnen schon gar nicht. Da können Sie mich sofort umbringen“. Das hat ihn etwas weich gemacht, er hat uns in Ruhe gelassen und ist fortgegangen. Es hat aber nicht lange gedauert, da ist er zurückgekommen und dann hat man uns in einen Bunker eingesperrt. In diesem Betonbunker gab es kein Fenster und dort mussten wir die Nacht verbringen. Nächsten Tag mussten wir wieder in der Fabrik arbeiten und am Abend haben sie uns wieder im Bunker eingesperrt.
Neben unserem Lager gab es eine Baracke mit jungen Männern aus Jugoslawien. Einige von uns haben sich bei diesen beschwert. Daraufhin haben mehrere von ihnen eine Hacke genommen und haben sich rechts und links einer kleinen Brücke über den Mühlgang damit aufgestellt. Als der Lagerführer gekommen ist, haben sie ihm gesagt, dass er uns Mädel sofort aus dem Bunker rauslassen sollte. Der Lagerführer hatte seine Pistole dabei. Da haben sie ihm gesagt: „Du kannst nur einen von uns erschießen, aber dann hast du deinen Kopf auch im Mühlgang drinnen“. Daraufhin hat der Lagerführer uns aus dem Bunker rausgelassen.
H: Hatten sie während ihrer Zeit als Zwangsarbeiterin Kontakt nach Hause?
Frau Zganjar: Nein.
H: Wie hat man diese Situation im Lager eigentlich ertragen?
Frau Zganjar: Die Situation war sehr schwer zu ertragen, alleine schon, wenn man den Stacheldraht rund um das Lager gesehen hat und wenn man immer nur eingesperrt ist. Wir haben uns immer gegenseitig getröstet und auf einer Wiese neben der Baracke Lieder gesungen. Die Österreicher haben gerne zugehört, aber sie durften nicht aus den offenen Fenstern zu uns hinschauen.
Wir haben immer gehofft, dass wir eines Tages befreit würden.
H: Waren Sie bis Kriegsende nur in der Fabrik als Zwangsarbeiterin eingesetzt?
Frau Zganjar: Nein, im Laufe der Zeit haben die Kalsdorfer unseren Lagerführer gebeten, ob wir bei ihnen arbeiten könnten. Dafür bekamen wir dann dort zu essen. Und so sind wir immer zu den Familien angewiesen worden. Ich bin einmal zu einer Familie gekommen, die Söhne war beim Militär. Die Frau war gerade aus dem Spital entlassen worden. Da es im Haus keine Wasserleitung gab, musste ich das Wasser hinauftragen und Putzen helfen. Dann haben sie mir einen Sterz gekocht, den habe ich nicht gekannt. Und um ihn besser zu machen, haben sie ihn mit Schmalz zubereitet und einen Kaffee dazugestellt. Mir ist davon so schlecht geworden, dass ich ohnmächtig geworden bin. Als ich wieder zu mir gekommen bin, bin ich am Boden gelegen und die Leute haben mich gefragt, ob ich das öfter habe. „Nein“, habe ich gesagt, „wissen Sie, wir haben so ein schlechtes Essen im Lager, da war dieses Essen zu fett und zu schwer“. Immer, wenn sie mich gebraucht haben, bin ich dann zu ihnen hingegangen.
H: Das heisst, diese Arbeit war ein Vorteil, da Sie dort nicht kontrolliert worden sind.
Frau Zganjar: Ja, das schon, aber in das Lager durften wir nichts mitbringen, etwa Lebensmittel.
Ein einziges Mal ist ein Bauer gekommen, der vier Mädchen zum Wäschewaschen brauchte. Ich war auch dabei, da der Lagerführer eher die Stärkeren von uns hingeschickt hat. Wir haben die ganze Nacht Wäsche gewaschen und dann haben wir nur ein Stück Brot bekommen mit Margarine und ein Häferl Tee. Wir haben noch den ganzen Tag und den folgenden Tag, also das ganze Wochenende über, gewaschen. Als wir fertig waren, haben sie uns durchsucht, damit wir ja nichts mitnehmen. Sonst haben wir nichts zum Essen bekommen und wir waren zum Umfallen hungrig. Da haben wir dem Lagerführer davon erzählt und er meinte „Der bekommt von uns keine Arbeiter mehr“.
H: Bis Kriegsende sind sie aus der Fabrik oder dem Lager nur hinausgekommen, wenn Sie bei der Bevölkerung arbeiten mussten?
Frau Zganjar: Ja. Extraausgang gab es nie. Aber wir haben gebeten, ob wir am Sonntag hinter der Fabrik spazieren gehen können und da sind wir auch mit den Männern aus der Baracke zusammengekommen. Sie waren nicht eingesperrt und haben genauso bezahlt bekommen wie die Arbeiter.
H: Gab es jemals Fluchtversuche aus dem Zwangsarbeiterlager?
Frau Zganjar: Ja, einmal sind drei Mädchen ausgerissen. Sie waren einige Monate nicht im Lager, dann sind sie wieder zurückgekommen. Aber sie haben nie ein Wort darüber gesprochen, was mit ihnen inzwischen passiert ist. Sie waren wie stumm.
H: Hat man gewusst, dass der Krieg bald zu Ende gehen wird?
Frau Zganjar: Es gab viele Leute, die uns gesagt haben: „Jetzt wird bald der Russe kommen und dann sind wir wieder in Freiheit“. Aber das durften sie selbstverständlich auch nicht laut sagen.
H: Wie war die Situation zu Kriegsende?
Frau Zganjar: Zuerst sind die sowjetischen Truppen gekommen. Direktor Hartung ist mit einer Aktentasche voller Geld aus der Fabrik gekommen. Ein sowjetischer Offizier habe ihm, laut Erzählungen meines Mannes (er war slowenischer Arbeiter bei Lapp-Finze), diese Tasche aus der Hand gerissen. Dann wollten sie ihn erschießen, aber Hartung hat es meinem Mann zu verdanken, dass er am Leben geblieben ist. Ich war damals schon mit meinem Mann zusammen.
H: Ihr Mann war im Lager der Jugoslawen mit den anderen Slowenen, Kroaten uns Serben?
Frau Zganjar: Ja. Dann sind die Russen abgezogen und ich war inzwischen im Spital. Mein Mann hat für die Russen als Dolmetscher fungiert.
H: Dann sind Sie in Kalsdorf geblieben. Warum?
Frau Zganjar: Warum? Ich weiss es eigentlich nicht. Meine Schwester war schon weg, als ich aus dem Spital gekommen bin. Mein Mann hatte niemanden mehr in Slowenien gehabt und ich hatte auch keine Verbindung zu meinen Verwandten. Wenn ich recht traurig war und geweint habe, hat er gesagt, „Ich lass dich frei, du kannst ruhig heimfahren“. Dann haben wir 1945 geheiratet. 1950 aber, als ich schon zwei Kinder hatte, ist unsere Ehe für ungültig erklärt worden.
H: Warum?
Frau Zganjar: Der Bürgermeister hatte uns nicht in das Ehebuch eingetragen. Dadurch hatten wir große Schwierigkeiten und ich war durch meine Zeit im Werk schon krank geworden. Man kann das ja gar nie richtig schildern, was wir damals erlebt haben. Ich hatte keine Krankenkasse, keine Arbeit und zwei Kinder.
H: Wo hat ihr Mann nach 1945 gearbeitet?
Frau Zganjar: Mein Mann hat in der Fabrik bei Lapp-Finze gearbeitet. Er hat viel für die Fabrik getan, aber sie haben nicht ein Wort darüber verloren.
H: Haben Sie nach dem Krieg auch noch bei Lapp-Finze gearbeitet?
Frau Zganjar: Ich war für kurze Zeit wieder dort, dann musste ich wieder weichen, weil neun Frauen sich im Arbeitsamt beschwert hatten, dass sie arbeitslos wären, während ich arbeiten würde. Ich wurde gekündigt und eine der Frauen ist an meiner Stelle aufgenommen worden.
Auch mit den Kindern hatte ich Schwierigkeiten. Es hat immer geheißen: „Ihr Russen!“
Wir wohnten zu viert in einem kleinen Raum, aber immer wenn wir um eine größere Wohnung gefragt haben, hat es geheißen: „Was wollen Sie, wir haben ja für unsere eigenen Leute nichts“. Dann habe ich wieder bei Lapp-Finze gearbeitet, aber die Arbeit war wegen meiner Krankheit schon zu schwer für mich.
Dann haben wir angefangen, dafür zu kämpfen, wieder zu heiraten. Wir haben uns dafür einen Anwalt nehmen müssen und als wir 1955 endlich wieder verheiratet waren, hat uns das 5000.- Schilling gekostet gehabt. 1956 haben wir die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen.
Vorher schon wollte ich zum Glauben übertreten. Ich hatte aber keine Ahnung, wie ich das machen sollte. Denn die Frauen im Ort fragten mich immer „Gehen Deine Kinder nicht beten?“ Ich wusste ja nicht, was das ist. Dann habe ich eine Frau gebeten, dass sie mir Gebete beibringen sollte. Vom Pfarrer wurde ich getauft und später gefirmt, mit 28 Jahren.
H: Wie sind Ihnen die Menschen im Ort nach dem Krieg begegnet?
Frau Zganjar: Von denen musste ich viel einstecken. Wir wurden angespuckt und die Kinder mit allen möglichen Schimpfwörtern bedacht, dass wir dreckige Russen seien und verschwinden sollten, da wir hier nichts verloren hätten.
Das Gespräch mit Frau Galina Zganjar führte Joachim Hainzl.